„Es ist das Haus auf der linken Seite mit den Kakteen“, beschreibt uns Kate Bellm ihre Adresse und nachdem man sich im Auto die holprige Bergstraße in den Hügeln von Deià hochgewunden hat, ist es tatsächlich nicht mehr zu übersehen. Bereits der Eingang ist mit Palmen, Aloe Vera Pflanzen und riesigen Kakteen gesäumt, die von Kates Ehemann Edgar gepflanzt wurden und auch der Rest des selbstrenovierten Anwesens mit Künstleratelier und Halfpipe im Garten sieht genau so aus, wie man es von der Fotografin erwartet hätte - nur noch schöner.
Wir sind mit Kate verabredet, um über ihr neuestes Buch LA ISLA zu sprechen, „ein großartiges, verrücktes, keine Minute langweiliges Projekt,“ wie sie erzählt, das als Liebeserklärung an die Insel, die sie schon einige Jahre ihr zu Hause nennt, zu verstehen ist. „LA ISLA hat mir während des Lockdowns einen Sinn gegeben, denn so war ich jeden Tag damit beschäftigt, den schönsten Sonnenuntergang zu finden oder Kakteen und einsame Sandstrände. Ich bin oft mit pochendem Herzen und meiner Kamera in der Hand auf irgendeine Klippe geklettert oder habe mit den Inselmädchen ein Shooting im Meer veranstaltet – ohne vorher genau zu planen, wohin es uns führen wird. Ich habe mich mit den Locals, die ich für das Buch fotografiert habe, einfach in irgendeine ungeahnte Richtung ziehen lassen.“
Über Mallorca sagt Kate: „The island is like a free movie set. Es gibt Orte, die mich an schwedische Wälder, die Karibik oder sogar den Mars erinnern.“ Als sie sich dazu entschieden hat, hier in die Berge zu ziehen, hätten sich viele über ihren Wohnort gewundert, heute hat sich in Deià die internationale Inselboheme niedergelassen. „Mallorca's really vibing right now.“
Johanna Laleh von Holst hat Kate in ihrem Haus fotografiert, in dem sie gemeinsam mit Sohn Sage und Edgar wohnt.
Kate, du hast uns erzählt, dass wir zuerst kurz über dein erstes Buch Amore sprechen müssen, um den Entstehungsprozess von LA ISLA zu verstehen…
Genau, Amore ist eine Ansammlung von Momentaufnahmen – ich nenne sie kidnapping moments - und zeigt, was meine Zwanziger geprägt hat: Alle meine Powerbabes, sportliche Autos und die Orte, die damals wichtig für mich waren: L.A, Portugal, Berlin, London. Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, aus diesem riesigen Archiv an verrückten Erinnerungen ein Buch zu entwickeln. Auf dem Cover sieht man meine Freundin und ultimative Muse Marina Guindilla, ihr Nachname heißt passenderweise Chili Pepper auf Spanisch. Unsere Synergie ist wirklich einzigartig.
Amore ist also eine Zusammenfassung von echten Knallermomenten, in denen das Leben mit allen Effekten arbeitet, die es zu bieten hat. Die Highlights eben...
Der Vibe von Amore ist sexy, flirty, high energy und zeigt viele ruhelose Roadtrips. Diese schnelle, überdrehte Welt hat aber auch eine ganze Menge meiner Bilder ausgeschlossen – and that became LA ISLA. Es gibt nämlich auch viele Fotos von mir, auf denen Wasserfälle, Farne und Unterwasser-Nymphen die Protagonisten darstellen. Die Atmosphäre dieser Bilder ist eher nostalgisch, unschuldig, friedlich. Die Welten von Amore und LA ISLA sind wie Öl und Wasser und lassen sich nicht mischen, deshalb wusste ich, dass ich noch ein zweites Buch machen muss, weil es eben noch diese andere Geschichte zu erzählen gibt.
Wie würdest du den Vibe von LA ISLA beschreiben?
Soft, natural, beachy, local energy, community, fresh, clean. Die Farben in LA ISLA sind mit denen von Edelsteinen zu vergleichen: Rubine, Smaragde, Saphire, alles was funkelt und glitzert.
Für das Buch hast du nur Menschen fotografiert, die auf der Insel leben oder einen Bezug zu Mallorca haben, richtig? Es waren also keine Models aus New York oder Paris beteiligt?
Oh no! Jeder in dem Buch ist wirklich mit der Insel verbunden: Locals, meine Freunde, echte Charaktere der Community und balearic babes wie Marina, die zwar in London wohnt, aber einen Großteil ihrer Freizeit hier verbringt. Die Energie, die entsteht, wenn du mit deinen Freunden arbeitest, ist so delicious und magical. Darum ging es mir bei dem Projekt.
Du hast ja quasi Jurassic Park vor der Tür. Wie genau suchst du deine Locations aus? Es scheint hier ja unbegrenzt Möglichkeiten zu geben.
Manchmal inspirieren mich die wirrsten Orte oder Pflanzen irgendwo am Wegrand, an denen ich im Auto vorbeifahre. Dann springe ich sofort auf die Bremse, um mir die Stelle genauer anzusehen und überlege, welche Szene ich hier fotografieren könnte. Mallorca is a free movie set. Ich liebe dieses Kribbeln im Bauch, wenn du nicht weißt, was hinter der nächsten Straßenkurve auf dich wartet. Hier bin ich zur richtigen Detektivin geworden, weil es so viele Strände, Höhlen, Wälder, Flüsse und Wasserfälle zu entdecken gibt. I feel like Ponyo.
Das Wetter ist für dich wahrscheinlich genauso entscheidend, oder?
Für meine Arbeit habe ich schon immer obsessiv Temperaturen und Wolken überprüft, denn die meisten meiner Klienten wollen Bilder mit Sonne und blauem Himmel. Grey skies don’t sell dresses. Durch mein Buchprojekt ist aus mir aber ein richtiger Wetterfreak geworden, ich bin jetzt quasi auch Meteorologin und kann am Stand der Sonne die genaue Uhrzeit bestimmen. Auf meinem Handy habe ich sogar Apps, um den Wellengang zu prüfen, damit ich spontan entscheiden kann, wann sich ein Shooting im Meer lohnt.
Gibt’s Momente, die dir aus den letzten zwei Jahren besonders in Erinnerung geblieben sind?
Bei einem Shooting mit Marina hatten wir ein Pferd organisiert, weil ich dachte, dass sie reiten kann. Konnte sie aber gar nicht. Sie sitzt also nackt auf diesem Pferd, ich fange an zu fotografieren und sie hat immer noch ihre pinken Crocs an. Ich schreie sie an: „Zieh die Dinger aus, du ruinierst ja das ganze Bild!“ Wir hatten so viel Spaß!
Wie trifft man eigentlich die finale Bildauswahl für ein Buch? Ich stelle mir das richtig emotional vor, weil man ja mit jedem Foto ein besonderes Erlebnis verbindet.
An LA ISLA habe ich ungefähr ein Jahr gearbeitet, bis ich genug Material gesammelt hatte. Dazu kamen dann noch die Fotos aus meinem Archiv, die ja der Ausgangspunkt des ganzen Projekts waren. Die Vision eines Inselbuchs kam mir das erste Mal im Herbst 2019, dass ich kurz darauf völlig unerwartet wirklich für zwei Jahre jeden Tag auf Mallorca sein würde, war fast wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Ich bin immer noch überglücklich, dass Frank Rocholl, Creative Director des Mirage Magazines und real life legend, das Buch publiziert und mich bei dem gesamten Entstehungsprozess unterstützt hat. Wir haben ganze Wochenenden mit den ausgedruckten Bildern auf meinem Studioboden verbracht, es war ein ganz anderer Editing-Prozess als PDFs auf dem Computer durchzusehen wie bei Amore. Frank hat diese creamy, beautiful, 70er Ästhetik – perfekt für LA ISLA.
Gibt es Tageszeiten, zu denen du besonders gerne oder ungerne fotografierst?
Midday light is craziness. Das ist viel zu hartes Licht und kann sehr unfair werden. Schatten und Reflexionen sind für meine Arbeit unglaublich wichtig, deshalb fotografiere ich gerne ab dem späten Nachmittag. Post-sunset-light is my favorite.
Du hast deine Karriere als Modefotografin begonnen, jetzt haben die Mädchen auf deinen Fotos fast gar nichts mehr an...
Wodurch die Bilder ja viel zeitloser werden, keine Klamotten, keine Ära. Einfach nackte girls, die im Meer schwimmen. Könnte zu jeder Zeit, überall am Wasser sein. Mit meinen Fotos erinnere ich gerne daran, wie schön es ist nackt zu sein und dass es gar nicht unbedingt eine sexuelle Komponente haben muss, sondern mit einem Freiheitsgefühl zu tun hat.
Hast du für das Buch vor allem analog fotografiert oder auch digital?
Fast nur mit Film. Cause analog creates the magic.
Was genau meinst du damit?
All die vermeintlichen Fehler, die ja eigentlich gar keine sind. Merkwürdige Farben, die Körnung der Fotos, kleine Unregelmäßigkeiten, things you don’t expect.
Mir ist aufgefallen, dass du früher viel öfter Männer fotografiert hast. War das eine bewusste Entscheidung, für deine Bücher vor allem girls abzulichten?
Damals in Berlin bin ich viel mit Skatern rumgehangen und habe natürlich auch in der Szene fotografiert. Hier in Mallorca sind viele meiner Freunde tatsächlich Frauen. Es kommt also immer darauf an, von wem ich gerade umgeben bin. Jetzt habe ich ja auch meine eigenen Jungs. Die zwei Menschen, von denen ich am allerliebsten Bilder mache, sind Edgar und Sage. My forever muses.
Hast du eigentlich manchmal noch Sehnsucht nach dem Festland und der Großstadt oder bist du zum wirklichen island girl geworden?
Zu sehen, wie mein Kind hier aufwachsen und sich entfalten kann, ist mit nichts vergleichbar, was uns irgendeine Metropole bieten könnte. Auch wenn meine Fotos das früher vermuten ließen, war ich nie das größte partygirl. Mein Gemüsegarten ist mir viel wichtiger als irgendein Event. Aber natürlich gibt es auch diese andere Seite von mir, die gerne herumreist und all diese sexy Freunde hat. But Mallorca calms my soul and ego down. Was du beruflich machst, ist hier nicht wirklich relevant, sei einfach eine gute Person und bring deinem Nachbarn Suppe, wenn die krank sind oder Aloe Vera aus deinem Garten, wenn sie sich verletzt haben. Hier zählen die einfachen Dinge. Ich liebe das.
Das heißt, nach all den Jahren des Nomadenlebens bist du angekommen?
Man muss immer wieder neue Einflüsse und Orte finden, sonst langweilt man sich ja irgendwann mit sich selbst. So wundervoll mein Leben auch sein mag, ich werde immer weiter Träume haben. Mit sechzig will ich eine weed farm in Kalifornien haben.
Zum Abschluss musst du uns jetzt natürlich noch verraten, was bei dir als Nächstes geplant ist!
Wir haben einen wirklich ambitionierten Plan für dieses Jahr. In den Bergen Mallorcas wird es schon bald einen sehr besonderen neuen Ort geben. Stay tuned for Summer '22, a big project is coming your way.