Der Fotograf Paul Mecky leuchtet mit seiner Kamera in eine Welt hinein, die meist im Verborgenen bleibt. Dabei sind intime Porträts von Freunden und nächtlichen Zufallsbekanntschaften entstanden. Gerade ist seine erste Solo-Ausstellung „Tote Fische“ im Studio Hanniball zu sehen gewesen.
Paul, wie bist du zur Fotografie gekommen?
Meine Eltern sind beide Künstler, daher war mir früh klar, dass ich auch etwas Kreatives machen würde. Übers Modeln habe ich dann viele Fotografen kennengelernt, eine suchte gerade einen Assistenten. Da ich Geld und einen Job brauchte, habe ich mich sofort angeboten und so meine Leidenschaft entdeckt. Ich fand es schon immer spannender hinter, als vor der Kamera zu stehen.
Du bist Autodidakt, hast dir das Fotografieren selbst beigebracht?
Als ich angefangen habe, mich mit dem Fotografieren zu beschäftigen, musste meine damalige Freundin zeitgleich nach Australien zurück und ich bin mit. Wir sind dann vier Monate um die Welt gezogen und währenddessen habe ich mir meine fotografischen Skills angeeignet. Fremde Umgebungen haben mich schon immer gereizt, meine Fotografie ist der Versuch, diesen Orten näherzukommen und sie zu verstehen.
Du nutzt Berlin immer wieder als Kulisse deiner Bilder. Was bedeutet dir die Stadt?
An anderen Orten dauert es oft länger, bis ich Motive finde, die mich interessieren. Hier ist es eher so, dass die Motive mich finden. Ich muss gar nicht viel machen. Noch vor ein paar Jahren war hier jede Brache eine Möglichkeit, jede rostige Tür eventuell Zugang zu einer temporären Party. Das Improvisierte, Unregulierte, das lange den Charme ausgemacht hat, ist immer mehr verschwunden.
Wie hat sich die Stadt aus deiner Sicht verändert?
Früher brauchte man am Wochenende nur das Fenster zu öffnen und hat von draußen schon den Bass gehört, weil immer irgendwo in Reichweite ein Open Air wummerte. Es war eine verrückte Zeit, alles noch so angenehm ungeklärt und nicht jede Baulücke geschlossen. Trotzdem sehe ich noch immer viele Kräne über Berlin, die Stadt wird wohl für immer unfertig bleiben. Vor ein paar Jahren war es hier allerdings viel leerer, jetzt gibt es so viele Zugezogene, teilweise finde ich nicht mal mehr einen Platz für mein Fahrrad, weil es so voll geworden ist.
Viele deiner Bilder sind in der Nacht entstanden. Ab welcher Uhrzeit wird es für dich als Fotograf interessant?
Da meine Wohnung sehr zentral in Kreuzberg liegt, kommt jeder gern vor einer Party bei mir vorbei. Oder auch danach. So sind oft kleine Shootings einfach aus dem Moment heraus entstanden, ganz pur, sehr ehrlich. Nach einer Party entsteht manchmal diese Stimmung, die gar nichts mehr will und in der genau deshalb fast alles möglich ist.
In den meisten Clubs herrscht strenges Fotoverbot. Das ist Versprechen und Warnung zugleich. Wie schaffst du es, trotzdem Bilder machen zu dürfen?
Ich bin schon so lange im Nachtleben unterwegs und kenne viele Betreiber, habe in einigen Bars und Clubs gearbeitet. Dadurch ist Vertrauen entstanden, anders würde es nicht funktionieren.
Und wie vermeidest du einen zu voyeuristischen Blick?
Was meine Bilder ausmacht, ist die Teilnehmerperspektive, aus der sie entstehen. Natürlich muss man sich zum Fotografieren kurz ausklinken, aber eigentlich bin ich bei allem dabei. Man muss auch spüren, wann man jemandem mit einem Bild zu nahe treten würde. Oft sehe ich gute Motive, weiß aber, dass die Situation nicht unbedingt dokumentiert werden sollte. Ich will ja keinen Rufmord begehen. Als Fotograf muss man ein Jäger sein, deine Beute darf sich aber nie gejagt fühlen. Wenn man dann plötzlich schießt, entsteht manchmal ein perfektes Foto.
Auf einer Afterhour kann man schlecht Fotos wie ein Daumenkino schießen, viel eher muss man ein Bild erhaschen. Wie entscheidest du, wann sich ein Klicken lohnt?
Wenn du in solchen Situationen die ganze Zeit fotografierst, wirst du jeden Vibe zerstören, niemand würde dich mehr auf seiner Party haben wollen. Du musst im Moment sein, im Bewusstsein der Situation. Immer in Lauerstellung. Davon kann man aber auch getrieben werden.
Was bedeutet dir das Nachtleben?
Noch immer absolute Freiheit.
Braucht man eigentlich eine teure Kamera, um ein guter Fotograf zu werden?
Man darf am Anfang gar nicht zu viele Möglichkeiten haben, sonst verliert man sich. Als ich begonnen habe zu fotografieren, habe ich mich darüber aufgeregt, dass ich nur eine alte Kamera von meinem Onkel hatte und sonst nichts. Aber ich habe immer weitergemacht. Bei einer Reise durch Spanien lagen meine Objektive nachts auf dem Tisch und Insekten sind hineingekrabbelt. Ich dachte erst, die Welt geht unter, die Linsen sind kaputt und neue konnte ich mir nicht leisten. Irgendwann waren die Tierchen wieder weg und die Objektive noch intakt, aber bis heute ist ein feiner Schleier geblieben, mein ganz persönlicher Filter. Das Licht bricht sich dadurch ein wenig anders und sorgt für eine melancholische Grundstimmung. Es ist genau die Stimmung, nach der ich damals gesucht habe. Aus Zufall wurde Fügung, so habe ich meine Ästhetik gefunden. Man muss lernen, mit dem zu arbeiten, was man hat.
Wie würdest du denn deine Foto-Ästhetik beschreiben?
Mystisch, verträumt. Auf keinen Fall gewollte Perfektion oder optimale Lichtverhältnisse. Es muss ein bisschen rough und shabby sein. Mein Stilmittel ist eigentlich schlechtes Licht. Wenn es schon zu dunkel ist und ich es gerade noch schaffe, ein Bild zu machen. Dämmerlicht. Dachlukenlicht ist gut oder wenn es bewölkt ist. Direktes Licht finde ich auch super, generell zu hell oder zu dunkel, nur bitte nicht perfekt ausgeleuchtet.
Ist man als Fotograf immer auch ein bisschen Manipulator?
Als Fotograf zeigt man die Welt, so wie man sie sehen möchte, nicht unbedingt, wie sie tatsächlich ist. Das ist ja meine künstlerische Freiheit, Situationen auch zu inszenieren. Man muss lernen, die Kamera für sich lügen zu lassen.
Wie hast du das letzte Jahr, diese eigenartige Zeit, wahrgenommen?
Durch meine Jobs an der Bar habe ich bis dahin durchgehend Menschen kennengelernt, alles potentielle Motive. Was Leute im Morgengrauen so alles machen, da kommst du gar nicht drauf. Während des Lockdowns habe ich festgestellt, wie abhängig ich von den Dummheiten der anderen bin, vom Zufälligen, Skurrilen, unfreiwillig Stimmigen. In meinen Bildern geht es schließlich um Begegnungen. Plötzlich gab es keine Einflüsse von außen mehr, du musstest dein eigenes Kraftzentrum sein.
Was vermisst du gerade am meisten?
Flüchtige Zufallsbekanntschaften und Nächte mit unerwarteten Wendungen. Einfach rausgehen und dann mal sehen, wie es weitergeht.
Der Abend, der zur Nacht werden darf, der fehlt?
Mir fehlt das Herumstreunen, dieses nicht wissen, wo der Abend endet - oder bei wem. Nan Goldin, Pionierin der subjektiven Fotografie, hat gesagt: „Ich setze nicht Bilder um, die ich in meinem Kopf habe, sondern mache Erfahrungen, die zu meinen Bildern werden.“
Das trifft auf dich auch zu, oder?
Unbedingt. Ich gehe meist ohne große Erwartungen los und schau dann, welche Geschichte ich mit meinen Bildern erzählen will. Oft weiß ich auch erst hinterher, wonach ich eigentlich gesucht habe. Deshalb mag ich das Gefühl, an der Bar zu sitzen und zu wissen, jetzt kann der Abend in alle Richtungen kippen. Man muss für alles offen bleiben, immer die Augen schärfen. Einfach machen, niemals Stillstand.