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"Ich sehne mich nach Exzess"

Der israelische DJ SH SE erzählt von ausschweifenden Partynächten und warum er auf seinem Karrierehöhepunkt in Tel Aviv nach Berlin gezogen ist.

for i-D Magazine

"Ich sehne mich nach Exzess"

Der israelische DJ SH SE erzählt von ausschweifenden Partynächten und warum er auf seinem Karrierehöhepunkt in Tel Aviv nach Berlin gezogen ist.

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"Ich sehne mich nach Exzess"

Der israelische DJ SH SE erzählt von ausschweifenden Partynächten und warum er auf seinem Karrierehöhepunkt in Tel Aviv nach Berlin gezogen ist.

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Der DJ und Künstler SH SE spricht in unserem Interview über musikpolitischen Aktivismus, kollektive Intimität auf Techno Partys und warum es sich lohnt, sich im Leben immer wieder ins Ungewisse zu stürzen.

Hat Musik in deinem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt?
Meine Eltern haben keinen besonders inspirierenden Musikgeschmack, bei uns zu Hause lief fast ausschließlich traditionelle israelische Musik. Als Teenager habe ich dann Rock, Emo, Metal und Rap für mich entdeckt. Musik hat mir eine Identität gegeben. Mit sechzehn bin ich auf Partys am Hafen von Tel Aviv gegangen und habe so Techno kennengelernt. Ich habe die ganze Nacht durchgetanzt und mich im Nachtleben wirklich verstanden gefühlt. Am nächsten Morgen bin ich in die Schule gegangen.

Musik hat dich während deiner Jugend also am meisten geprägt und beeinflusst?
Ich fand die Schule unglaublich langweilig und habe versucht, meine Energie so gut wie möglich in andere Aktivitäten zu investieren. Einige Jahre war ich Drummer in einer Band, das war meine Rocker Phase. Als mich die Band gelangweilt hat, habe ich mit dem Tanzen begonnen. Acht Jahre lang war ich an einer Akademie, um dort Contemporary Dance und HipHop zu lernen. Man muss sich ausprobieren, um zu erkennen, was zu einem passt - und was nicht.

Mit dem professionellen Tanzen hast du dann aber auch irgendwann aufgehört?
Tanzen bedeutet viel Routine, viele Regeln. Du musst dich sehr gut um deinen Körper kümmern, viel schlafen, damit er die anstrengenden physischen Proben durchhält. Irgendwann hat dieser eingeschränkte Rhythmus nicht mehr zu meinem persönlichen Lifestyle gepasst.

Wie hast du mit dem Auflegen begonnen?
Ich habe schon immer viel klassische Musik und Jazz gehört, das hat sich in meiner Tanzakademie schnell herumgesprochen und ich wurde verantwortlich für das Erstellen der Playlists für unsere Performances. Was auch immer ich gemacht habe, Mode, Tanzen, Auflegen - Musik ist der zentrale Teil davon. Es ist wie eine Sucht für mich. Als ich gemerkt habe, wie viel Spaß es mir macht, mich mit Playlists zu beschäftigen, habe ich angefangen, in Bars aufzulegen.

Und wie ist es weitergegangen?
Das Auflegen hat sich relativ schnell zu einem richtigen Job entwickelt. Durch das viele Weggehen habe ich die Macher von Kok Schok kennengelernt und auf ihrer Party erst gespielt und bin dann Teil des Kollektivs geworden. Gemeinsam haben wir Kok Schok zu einer der wichtigsten queeren Partyreihen in Tel Aviv entwickelt. Uns war wichtig, einen Safe Space zu erschaffen, wo Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung und Religion akzeptiert und für das, was sie sind, gefeiert werden. Die Stimmung ist oft so aufgeladen, wenn es um Politik geht, deshalb wollten wir wichtige politische Themen mit einer Party thematisieren. Kok Schok ist geradezu ein utopischer Gegenentwurf zum Alltag in Israel. Uns war besonders wichtig, dass Frauen und Non-Binaries ihre Sexualität bei unseren Partys genauso ausleben können, wie es bis dahin nur in der Schwulenszene möglich war. Manche denken noch immer, dass es beim Feiern nur um Musik und Drogen geht. Aber es geht um so viel mehr.

Bei einer guten Party tropft der Schweiß von der Decke und alle tanzen sich in Ekstase. Es muss ausschweifend und hemmungslos sein!

Was ist entscheidend, damit eine wirklich gute Party entsteht?
Musik, Licht und eine Crowd, die zu allem bereit ist. In Tel Aviv habe ich im wichtigsten Club Alphabet nicht nur aufgelegt, sondern auch als Lichttechniker gearbeitet. Durch diesen Job beeinflusst man ganz zentral die Stimmung und gestaltet die Atmosphäre. Am wichtigsten ist aber natürlich eine Crowd, die wirklich kompromisslos feiern will. Bei unseren Kok Schok Raves gibt es keine Klimaanlage, der Schweiß tropft von der Decke und alle tanzen sich in Ekstase. Eine Party muss ausschweifend und hemmungslos sein.

Was sind für dich persönlich die schönsten Momente?
Ich will die Leute berühren, bei wahrscheinlich jedem Kok Schok Rave habe ich irgendwann geheult. Jede Party ist eine Achterbahn der Gefühle, voller überbordender Emotionen. Wenn ich die tanzende Crowd sehe, die sich im Rhythmus meiner Musik bewegt, bin ich in manchen Momenten zu Tränen gerührt.

Wenn alles so gut lief in Tel Aviv, warum wolltest du in Berlin nochmal von vorne anfangen?
Das frage ich mich bis heute manchmal noch. In Tel Aviv hatte ich das Gefühl, alles erreicht zu haben, meine Mission war beendet. Mir geht es nicht darum, dass eine Party immer größer wird, denn dann wird sie auch kommerzieller. Jahrelang dasselbe zu machen, kam für mich aber auch nicht in Frage. Ich mag keine Routine oder ständige Wiederholungen. Am glücklichsten bin ich, während ich an etwas Neuem arbeite. Wenn ein Projekt etabliert ist, langweilt es mich schnell. Ich muss mich deshalb immer wieder neu herausfordern, um meinen Enthusiasmus nicht zu verlieren, auch wenn es anstrengend ist. Ich will hungrig bleiben.

Gab es noch andere Gründe, wegen denen du entschieden hast, in Deutschland leben zu wollen?
Israel unterstützt die Subkultur kaum. Homosexualität wird von vielen noch immer nicht akzeptiert, gleichgeschlechtliche Paare können nicht heiraten. Man muss immer kämpfen. Ich will aber nicht mein ganzes Leben lang kämpfen. Ich will leben!

In Tel Aviv hattest du deine eigene Party, nach deinem Umzug hast du an der Garderobe vom Tresor angefangen zu arbeiten. Musstest du dein Ego dafür runterschlucken?
Ich habe Mode & Design studiert und auch einen Abschluss, aber ich habe nie mit Leidenschaft als Stylist gearbeitet. Je mehr ich in der Fashionszene involviert war, desto mehr habe ich sie gehasst. Alle nehmen sich so unglaublich ernst. Schon bei meinem ersten Job in einem Club war da sofort ein Gefühl von Heimat. Egal welche Arbeit ich dort also mache, ich spüre immer, dass ich am richtigen Platz bin. Aber natürlich war der Anfang in einer neuen Stadt hart. In Tel Aviv sind Tausende zu meiner Party gekommen, ich kannte die ganze Szene, in Berlin habe ich wieder klein angefangen, bis ich meine ersten Gigs bekommen habe. Es war aber eine wichtige Weiterentwicklungsphase für mich.

Was genau fasziniert dich an Clubs?
Ich liebe den Vibe, alles ist ein bisschen shady. Ich mag die nebelig-verrauchte Atmosphäre und die pulsierende Energie einer guten Party. Die Intensität, wenn in dieser Mikrowelt Menschen diverser Herkunft für ein paar Stunden zusammenkommen. Ich mag es dark, sweaty, loud!

Wie hast du Berlin vor der pandemiebedingten Vollbremsung wahrgenommen?
Ich war fast jedes Wochenende in einem Club, aber nicht nur um zu feiern. Ich habe Stunden damit verbracht, mir das Licht anzusehen, wie es sich im Rhythmus der Musik bewegt und sich die Farben ändern. Ich laufe auch viel herum, beobachte und unterhalte mich. Ich brauche diesen zwanglosen, manchmal nur flüchtigen Austausch.

Was ist dir im Leben am wichtigsten?
Das Leben in Tel Aviv ist so teuer, ich war dauernd im Dispo. Natürlich haben wir den Strand, aber viele müssen so viel arbeiten, dass sie ihn kaum zu sehen bekommen. Das Leben in Berlin ist viel entspannter. Geld war mir nie besonders wichtig, aber in Israel musstest du ihm trotzdem die ganze Zeit hinterherjagen. Man kam manchmal kaum mehr zum Atmen. Für mich ist es am wichtigsten, mich kreativ ausdrücken zu können, ob als Drummer, Tänzer oder DJ.

Kann das Auflegen auch einsam sein?
Manchmal geht es sehr schnell von hundert auf null. Gerade hast du noch vor einer wabernden Menge in einem überhitzten Club gespielt, dann liegst du alleine zu Hause oder in deinem Hotelzimmer. Wenn ich ein gutes Set gespielt habe, schlafe ich aber immer mit einem Lächeln ein.

Meinen Stil würde ich als sportive-trashy und rough beschreiben

Fashion und Musik sind seit jeher eng miteinander verbunden und das eigene Erscheinungsbild ein Stilmittel, um seine Identität auszudrücken. Was bedeutet dir Mode?
Interessant finde ich, dass jeder Kleidungsstil mit einer Musikrichtung verbunden ist. Wenn jemand viele baggy Klamotten trägt, hört er wahrscheinlich auch HipHop und wenn sich jemand sehr basic kleidet, hört er wahrscheinlich eher Radio. Mode sollte man als Erweiterung der eigenen Kreativität verstehen, statt sie als Statussymbol zu tragen.

Braucht man eigentlich Geld, um sich gut anzuziehen?
Meine liebste Armani-Jeans habe ich auf der Straße gefunden. Wenn ich neue Sachen kaufe, zerreiße, färbe, bleache ich sie, um allem einen persönlichen Touch zu verleihen. Für Klamotten gebe ich nie besonders viel Cash aus, aber ich liebe schöne Accessoires. Ich mag Unverhältnismäßigkeiten, wenn der Gürtel mehr gekostet hat als das gesamte Outfit.

Wie würdest du deinen Style beschreiben?
Sportive-trashy, rough. Mir gefallen keine cleanen Looks. Meine Outfits hängen aber immer von meiner Stimmung ab, fast wie eine Kostümierung. Wenn ich morgens Rap höre, ziehe ich mich anders an, als wenn Beyoncé läuft. Ich habe so viel Kleidung, ich liebe es, damit zu spielen. Das meiste kommt aus Vintage Shops, wenn ich in Städten wie Amsterdam oder Moskau auflege. Außerdem mag ich Uniformen, einige meiner liebsten Kleidungsstücke sind von der israelischen Armee.

Wenn du auflegst, wie wichtig ist dir dein Outfit?
Vor jedem Auftritt überlege ich mir meinen Look, es soll schließlich eine richtige Performance werden. Es geht darum, sich zu inszenieren. Manche DJs sehen beim Auflegen aus, als wären sie auf einer Beerdigung. So will ich auf keinen Fall wirken. Ich tanze auch zu meiner Musik! Wenn ich nicht dazu tanze, warum sollten es dann die anderen tun? Manchmal bestimme ich sogar das Licht. Wenn ich auflege gebe ich alles, meine ganze Energie. Danach fühle ich mich wie ein Ballon, aus dem die Luft herausgelassen wurde. Es ist aber ein gutes Leeregefühl.

Könntest du dir vorstellen, irgendwann wieder zurück nach Tel Aviv zu ziehen?
Selbst wenn ich dort nicht mehr wohne, bin ich im Herzen Israeli. Das merke ich an meinem Temperament, meinen Werten, meiner Sprache. Aber Israel ist wie mein Ex-Freund. Ich liebe ihn und möchte ihn immer wieder mal sehen, aber ich kann nicht mehr mit ihm zusammen sein.

Seit wann fühlt sich Berlin wie dein zu Hause an?
Letzten Sommer haben mir meine Freunde zum Geburtstag ein Fahrrad geschenkt. Seitdem habe ich angefangen, die ganze Stadt zu erkunden und kenne mich viel besser aus. Damit ist ein Gefühl von Heimat entstanden.

Was vermisst du gerade am meisten?
Ich sehne mich nach Exzess. Ich kann es gar nicht abwarten, bis es endlich weitergeht!