Movement Artist Steph Quinci ist in Ohio, im mittleren Westen Amerikas, aufgewachsen, bevor they vor ein paar Jahren mit einem One-Way-Ticket nach Berlin gekommen ist. Da das Körperbild im klassischen Ballett zu uniform ist und keine Ambivalenz zwischen Männlich- und Weiblichkeit zulässt, hat Steph für sich einen eigenen tänzerischen und visuellen Ausdruck entwickelt, in der die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht keine Relevanz spielt: „Manchmal komme ich mir wie ein Architekt vor, weil ich Räume in filigrane Linien und genaue Formen unterteile.“ Als Movement Director entwickelt Steph auch eigene Choreographien und Kompositionen für Fotoshootings und Musikvideos.
Für uns hat sich Steph im Berliner Ensemble inszeniert und spricht im Interview über die Bühne als zu Hause, religiöse Symbole der katholischen Kirche als Stilinspiration und wie they die Person wurde, die they heute ist.
Steph, dein Leben hat sich durch den Lockdown im letzten Jahr von einem Tag auf den anderen schlagartig verändert. Erzähl uns davon!
Ich war vor der Pandemie an einem großartigen Punkt in meinem Leben. Vom Tanzen konnte ich gut leben, ich hatte viele interessante Engagements und spannende Monate vor mir. Aber dann ist die Pandemie dazwischen gekracht. Von Hundert auf null, es war eine ungeplante Vollbremsung.
Wir haben eine verwirrende, erschütternde und unbegreifliche Zeit hinter uns. Was hast du im letzten Jahr am meisten vermisst?
Die Bühne und Clubs sind für mich wichtige Safe Spaces, ich fühle mich dort am meisten wie ich selbst, geschützt und sehr lebendig. Ich weiß, ich kann mich kleiden, wie es mir gefällt und werde dafür akzeptiert und gefeiert. Natürlich habe ich auch das Tanzen unheimlich vermisst. Auf der Bühne zu stehen ist für mich existenziell, plötzlich waren diese Orte nicht mehr zugänglich. Mir wurde ein Teil meiner Identität genommen.
Tanzen ist gnadenlos. Jede Pause bestraft der Körper sofort. Warst du nervös, wieder zurück auf die Bühne zu gehen?
Kurz vor der Pandemie gab es diesen Moment, wo sich Tanzen das erste Mal wie Arbeit angefühlt hat. Egal wie hart das Training sonst war, ich war immer dankbar, performen zu können, doch plötzlich hat sich dieses Gefühl verändert. Corona hat diese Leidenschaft neu in mir entfacht, es hat mir gezeigt, wie sehr ich das Tanzen liebe und brauche. Ich hatte große Sehnsucht danach. In der Sekunde, als ich die Bühne wieder betreten habe, war ich sofort in meinem Element. Ich habe an den Platz zurückgefunden, an den ich gehöre. Die Bühne ist mein zu Hause.

Mich hat schon immer der Körper im Tanz, in der Bewegung fasziniert.
Wann hast du deine Leidenschaft für das Tanzen entdeckt?
Als ich noch sehr klein war, haben mich meine Eltern ins Ballett mitgenommen, ich war sofort obsessed. Während andere Kinder die Sesamstraße schauten, habe ich mir stundenlang Tanzaufführungen oder Kung Fu Videos angeguckt. Mich hat schon immer der Körper im Tanz, in der Bewegung fasziniert.
Und wie bist du selbst zum Tanzen gekommen?
Ich bin in Ohio, im Mittleren Westen der USA, aufgewachsen und musste mir erst erlauben, meine Liebe fürs Tanzen zuzulassen, denn in meiner Klasse interessierten sich damals alle nur für Basketball und Baseball. Wir sind es uns aber alle schuldig, ein Leben zu führen, das ganz von uns bestimmt ist und sollten keine verpassten Chancen später bereuen müssen. Deshalb habe ich mich mit sechzehn in eine Ballettschule eingeschrieben und anschließend meinen Bachelor in Tanz absolviert. Danach bin ich mit einem One-Way-Ticket nach Berlin gezogen, ohne vorher jemals da gewesen zu sein.
Wie hast du deine Anfangszeit hier erlebt?
Am Beginn bin ich zu jedem Casting gerannt, es war ein wirklicher Hustle. Nachdem ich für ein klassisches Ballettstück vorgetanzt hatte, wurde mir gesagt, dass ich nicht erwarten sollte, für solche Rollen gecastet zu werden. Für einen kurzen Moment dachte ich, mein Herz hört auf zu schlagen. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass ich durch meine androgyne Erscheinung und Wandelbarkeit für manche Besetzungen zwar ungeeignet bin, mir dafür aber auch keine Sorgen machen muss, in der Masse unterzugehen. Es war ein privater und beruflicher Selbstfindungsprozess, aber ich habe meinen Platz gefunden.

Wie ich meinen Stil beschreiben würde? Klassische Opulenz, but make it a club vibe
Mode ist eine Sprache, ein sehr schnelles Kommunikationsmedium, mit dem man anderen etwas über sich erzählt. Im besten Fall ist ein Kleidungsstück etwas, das einen als Person vervollständigt - oder?
Fashion und Style haben schon immer eine wichtige Rolle für mich gespielt, um mich auszudrücken. Mode gibt dir Kontrolle. Du zeigst deiner Umwelt, wie du gesehen werden willst. Durch die Art, wie ich mich kleide, fühle ich mich stark und schön, aber auch verletzlich, weil ich dadurch viel von mir preisgebe. Wenn man Outfits trägt, die von der Norm abweichen, macht man sich angreifbar. Wenn ich in Plateauschuhen durch Berlin laufe, bekomme ich viele positive Reaktionen - aber leider gibt es auch immer noch genug Menschen, die sich dadurch provoziert fühlen.
Wie hast du zu deiner Ästhetik gefunden?
Als Teenager in Ohio habe ich mir oft die Women's Fashion Shows angesehen und mir gewünscht, genau diese Mode tragen zu können. Das schien für mich damals aber unmöglich. Irgendwann habe ich begriffen, dass es nur scheinbare Einschränkungen von außen, von der Gesellschaft, sind und ich tragen kann whatever the fuck I want.
Findest du, dass man Geld braucht, um sich gut anzuziehen?
Style hat kein Preisschild. Selbst wenn du viel Geld und die schönste Kleidung besitzt, wenn du keinen Style hast, wird es nicht interessant aussehen. Für mich ist es wichtig, mich auch von Dingen außerhalb der Mode inspirieren zu lassen. Skulpturen, Barock- und Rokoko-Ära sind meine Leidenschaft, deshalb benutze ich sie oft als Referenzen für meine Looks. Klassische Opulenz, but make it a club vibe. Ich liebe es, die unterschiedlichsten Ideen in einem Outfit zu destillieren.
Wenn du abends weggehst, hast du vorher eine Vision, wie du aussehen möchtest?
Für eine der letzten Partys vor dem Ausbruch der Pandemie hatte ich ein Bild von Linda Evangelista in Versace aus den 90s im Kopf und mir gedacht: ‚So werde ich heute aussehen!’ Also habe ich mich in einige Stoffbahnen gewickelt, sie an den richtigen Stellen drapiert und gebunden und dazu viel Goldschmuck getragen. Das Outfit hat vielleicht 10€ gekostet, but I looked expensive that night.
Mode kann sich jeder mit Geld kaufen, aber der eigene Stil ist unkopierbar
Ja, genau. Linda Evangelista war die Fantasie, aber es geht darum, wie ich diesen Look für mich übersetzen und zu etwas Eigenem machen kann. Ich will nicht kopieren oder klauen, meine Outfits sollen schließlich meine Geschichte erzählen. Ich lasse mich von vielen Menschen und Epochen inspirieren, aber überlege immer: ‚How can this be me?’
Mode muss also immer ganz nah an einem selbst sein?
Ich bin Halbitaliener:in, viele meiner Einflüsse kommen durch meine sizilianische Herkunft. Ich liebe alles Mediterrane und habe einen Hang zu christlichen Motiven und religiöser Symbolik. Es ist eher eine romantisierte Sicht auf die katholische Kirche, denn ich bin nicht gläubig erzogen worden. Gold fließt aber quasi durch meine Venen.
Und wer inspiriert dich im Bezug auf deine Arbeit?
Martha Graham, sie ist eine Ikone des modernen Tanzes und hat das Ballett mit ihrer künstlerischen Vision revolutioniert. Sie hat immer wieder neue Bewegungsformen entwickelt, denen zwar die klassische Technik zugrunde liegt, aber sie war dabei viel virtuoser. Ich bezeichne mich als Movement Artist und performe Contemporary Dance. In meinen Choreographien geht es darum, klassische Elemente zu dekonstruieren, ich will mich künstlerisch und athletisch immer weiterentwickeln.
Von der Körper-Komponistin Martha Graham stammt der Satz: „Ich möchte nicht verständlich sein. Ich möchte gefühlt werden."
Bewegungen lügen nicht. Sie sind ein Barometer, das jedem, der wirklich hinsieht, den Zustand der Seele offenbart. Ich bin non-binary, zentral bei meiner Arbeit und meinem Style ist Neutralität. Beim Tanzen möchte ich so authentisch wie möglich sein.
Du wohnst jetzt seit ein paar Jahren in Deutschland. Was bedeutet dir Berlin?
Es ist eine schroffe, launische Stadt, rau und chaotisch, aber niemand verstellt sich. Man sieht hier Liebe und Schönheit, genau wie Absturz und Abhängigkeit. Jeder kann sich ausprobieren, denn die Stadt ist sehr verzeihlich. Berlin hat mir erlaubt, zu mir zu finden, ich bin hier geworden, wer ich wirklich sein will und dafür bin ich dankbar und möchte etwas zurückgeben.
Wie genau meinst du das?
Es geht mir um Sichtbarkeit, denn als ich noch jünger war, gab es kaum jemanden, mit dessen Aussehen ich mich identifizieren konnte. Jetzt passiert es mir immer wieder, dass ich in Clubs von 20-Jährigen angesprochen werde, die mir bei Instagram folgen und durch meine Looks Mut bekommen, sich auszudrücken. Ich möchte zeigen, dass man frei sein kann und es keine Grenzen gibt. Gemeinsam mit einem Freund habe ich eine Queer-Support-Group gegründet, um dort vor allem Jugendlichen das Gefühl zu geben, genau so richtig zu sein, wie sie sind. Auch wenn es manchmal schwer sein kann, ich weiß, dass ich auch für andere kämpfe. Wenn ich die Identitätsfindung durch meine Offenheit für irgendjemand anderen ein bisschen leichter machen kann, habe ich meine Arbeit getan.
Nach all der tristen Zeit, worauf freust du dich am meisten?
Sweaty Dancefloors! Mit sich drängenden, tanzenden und sich berührenden Menschen. Nach über einem Jahr Lockdown bin ich in Ekstaseerwartung und -bereitschaft!