Wer die Stylistin Theresa Gross kennenlernen will, ihre Arbeit und ihre Style-Philosophie, der besucht sie am besten in ihrer Wohnung in Neukölln. Theresa hat bereits für Nike, Louis Vuitton, Lala Berlin und Vogue Germany gearbeitet, über ihren Job erzählt sie: "Die interessanteste, aber auch größte Herausforderung ist, wie persönlich dieser Beruf ist. Es ist eine emotionale Arbeit. Man muss viel Einfühlungsvermögen haben, um jemanden aus seiner Komfortzone zu locken, aber trotzdem auch Grenzen spüren. Ich habe viele intime Begegnungen mit Menschen, die sich mir anvertrauen - sich im Wortsinn vor dir nackt machen. Diese Nähe muss ich mir aber auch jedes Mal neu aufbauen."
In unserem Interview spricht Theresa über Humana-Shirts zur Designertasche, das Arbeiten am Wochenende und wie man Kleidung und Möbel findet, die wirklich zu einem passen.
Theresa, wie genau bist du zum Styling gekommen?
Man kann Styling nicht wirklich lernen, es ist ja eher eine Begabung, die man eben hat. Die Lust daran, verschiedene Kleidung auf eine eigene, noch nicht gesehene Weise zu kombinieren, hat für mich vor allem mit Neugierde zu tun. Ich habe erst Modedesign studiert, bis mir ein Dozent gesagt hat, dass er mich im Styling und nicht als Designerin sieht. Zusammen mit einer Freundin, die Fotografin ist, habe ich dann angefangen, am Wochenende kleine Shootings zu inszenieren, so haben wir beide unsere Portfolios aufgebaut.
Und ab wann hat sich dieses Hobby zu einem Job entwickelt, von dem du deine Miete bezahlen konntest?
Das hat gar nicht so lange gedauert, 2016 habe ich meine erste Rechnung geschrieben. Das weiß ich noch genau! Ich wusste damals sofort, dass Styling nicht einfach nur ein Job ist, sondern meine größte Leidenschaft und Herzensangelegenheit. Man kann das auch nicht auf halber Flamme machen. Ich glaube, es gibt keinen Stylisten, der nicht von sich behaupten würde, seinen absoluten Traumjob gefunden zu haben. Ich finde es auf jeden Fall den schönsten Beruf, den ich mir für mich vorstellen kann.
Welche Eigenschaften würdest du sagen, braucht man am meisten, um als Stylist:in arbeiten zu können?
Es ist ein sehr sozialer Beruf, man muss deshalb gesprächig, zugänglich und offen sein und eine gute Vorstellungskraft haben. Du musst ambitioniert sein und lernen, deine Zeit gut einzuteilen, sonst kann man sich schnell in der Arbeit verlieren. Es kommt ja niemand vorbei, der dir sagt: „Genug für heute, Feierabend!“
Sieht alles aus wie Spaß, ist aber viel Arbeit...
Wie in jeder künstlerischen Disziplin geht es darum, mit Hingabe und Begeisterung dabei zu sein. Schöne Kleidung kann mich in einen Rausch versetzen, manchmal versinke ich dann vollkommen in meiner Arbeit. Nicht jeder kann verstehen, wenn man ganze Sonntage in Kleiderkartons verschwindet, weil man einfach in seine eigene Welt abtaucht.
Sind Fashion Trends und Prognosen für dich relevant?
Null-Komma-gar-nicht. Natürlich brauchst du ein Grundinteresse an dem, was um dich herum passiert, aber ich entscheide instinktiv und nur nach Laune, was ich trage. Man sollte als Stylist:in mit offenen Augen durchs Leben gehen, ich bin immer ein bisschen auf der Lauer.
Hast du einen klassischen Arbeitsalltag?
Noo! Manchmal arbeite ich einen ganzen Monat jeden Tag, dann habe ich wieder zwei Wochen frei. Es ist wirklich unvorhersehbar. Stylist:in ist kein Job für Leute, die klare Strukturen brauchen, denn die gibt es nicht. Das wird sich in diesem Beruf wahrscheinlich auch nie ändern, aber wie man damit umgeht, verändert sich irgendwann. Die Selbstständigkeit bringt dir bei, deinen Fähigkeiten zu vertrauen. Ich lebe jetzt schon seit längerem ganz nach meinem eigenen Rhythmus und habe keinen kalkulierten Fahrplan. Ich handle radikal intuitiv.
Das heißt aber auch, berufliche E-Mails und Anrufe am Wochenende?
Ach, wenn das alles wäre. Am Anfang bin ich wegen eines spontanen Auftrags sogar aus den Philippinen zurückgekommen, weil natürlich genau während meines Urlaubs eine große Jobanfrage reingeflattert kam. Man denkt sich: ‚Oh Gott und wenn sonst nie wieder etwas kommt?’ und stürzt zum Flughafen. Mit der Routine kommt Gelassenheit, heute würde ich auf meiner Strandliege bleiben.
Was sind die größten Herausforderungen in deinem Beruf?
Ich arbeite viel kommerziell und muss meine Visionen den Vorstellungen der Kunden unterordnen. Man muss deshalb auch unbedingt lernen, Absagen nicht zu persönlich zu nehmen.
Secondhand oder Designer?
Der Mix macht’s! Jetzt, da ich es mir leisten kann, kaufe ich mir auch Designerteile, dafür arbeite ich ja schließlich auch. Meine Outfits sind oft vintage, aber für Taschen gebe ich gern Geld aus. Ich mag Unverhältnismäßigkeiten, wenn die Schuhe mehr gekostet haben als das gesamte Outfit - drei Euro Humana-Shirt zur Designertasche find ich super. Finanzielle Limits schränken natürlich ein, machen aber auch erfinderisch. Früher hatte ich überhaupt kein Geld, war aber trotzdem immer nice angezogen. Wenn man aus begrenzten Ressourcen etwas Eigenes kreieren muss, denkt man oft viel unkonventioneller.
Manche tragen ihre besten Kleidungsstücke ja gar nicht. Sie schauen sie nur hin und wieder an, wie andere ihr Aquarium.
Für mich sind auch die schönsten Designerteile Nutzgegenstände, die oft zum Einsatz kommen. Ein paar meiner Balenciaga-Taschen begleiten mich schon fast mein halbes Leben. Ich bin aber auch ein Fuchs, ein Jäger, ich finde alles irgendwo günstiger, weil es mir nicht darauf ankommt, immer das Allerneueste zu besitzen. Eigentlich kaufe ich nur meine Margiela-Schuhe zum vollen Preis, weil die mir einfach heilig sind.
Wenn ein Outfit zu perfekt ist, wird es auch schnell etwas langweilig, richtig?
Absolut! Zu klassisch schön passt auch gar nicht zu meinem Charakter. Ich mag es, wenn das Outfit die Sehgewohnheiten ein wenig herausfordert und nicht zu gefällig wirkt.
Wie genau entscheidest du dich, welche Projekte du annimmst?
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass Geld keine Rolle spielt. Ich habe aber das Gefühl, dass ich auch aus kommerziellen Jobs immer etwas Besonderes machen kann. Manchmal ist das sogar die Herausforderung. Wenn ich Vorschläge entwickele, sind meine Moodboards immer recht laut und bunt. Runtergedimmt und rationalisiert werden sie dann von alleine, aber ich liefere erstmal möglichst fantasievolle Ideen.
War Interior für dich schon immer so wichtig wie Mode?
Bereits als Kind habe ich andauernd mein Zimmer umgestellt, ich hatte schon immer einen großen Gestaltungsdrang. Mein Stil lebt von Ungereimtheiten und Brüchen, wer meine Outfits kennt, erkennt mich auch in meiner Wohnung wieder. Eine schräge Lampe von Ebay gibt dem Raum oft mehr Charakter als ein teures Designerteil und macht die Wohnung erst lebendig. Ich mag Möbel, die mit Erinnerungen und Geschichten aufgeladen sind, die man auf einer Reise oder einem Flohmarkt zufällig gefunden hat.
Dein ganzer Tisch ist voller bunter Krimskrams und kleiner Kuriositäten, trotzdem sieht alles zusammen gewollt stimmig aus.
Farbige Filzstifte liegen neben etwas Glitzer, Becher und Vasen stehen neben diesem wunderbar poppigen Blumenstrauß. Brauchst du diese Arbeitsatmosphäre?Wenn ich für Kunden Moodboards erstelle, würde ich das an keinem anderen Ort lieber machen, als hier an meinem Arbeits- und Esstisch. Meine Wohnung ist für mich ständige Quelle der Inspiration, oft blättere ich durch Bücher und Zeitschriften oder schaue mir meine Blumen an und komme so auf neue Ideen.
Im besten Fall ist ein Kleidungsstück etwas, das einen als Person vervollständigt, wenn man es trägt - oder?
Mode ist eine Sprache, ein sehr schnelles Kommunikationsmedium, mit dem man anderen etwas über sich erzählt. Natürlich kann man nicht sein ganzes Wesen durch Mode ausdrücken, aber man kann einen Vibe vermitteln. Ein Blick genügt manchmal, um zu sehen, ob man mit jemandem auf einer Wellenlänge ist - oder eben nicht.
Es geht also weniger um die Klamotten selbst, als um die Attitüde, mit der man sie trägt?
Egal wie dein Outfit aussieht, wenn du es mit Überzeugung und einem Lächeln trägst, ist das alles, was wirklich zählt.
Was ist bei dir für die Zukunft geplant?
Ach wer weiß, vielleicht ruft schon morgen Hollywood an. Ich bin für alles offen, aber auf nichts festgelegt!
Fotos: Johanna von Holst