Kenngelernt haben sich Fanny Lawaetz und Idan Gilony während des gemeinsamen Modestudiums in Barcelona, nach ihrem Abschluss sind die beiden vor acht Jahren mit der Vision von einem unabhängigen Fashion Label nach Berlin gekommen. „Um den Umzug zu finanzieren, haben wir damals mit all unseren Stoffrestbeständen aus der Uni einen riesigen Garagen Sale veranstaltet. Sogar die Gardinen unserer Wohnung haben wir von den Wänden genommen, um daraus etwas zu schneidern“, erinnert sich Fanny.
Einen Namen gemacht haben sich die zwei durch das Entwerfen von minimalistischer Mode, die feste Geschlechterzuschreibungen verneint - lange noch bevor es zur massentauglichen Marketingstrategie wurde, auf unisex zu setzen. „Als wir begonnen haben, hat fast niemand Kleidung nur nach Zweck und Körperregionen sortiert. Wir hingegen wollten letztlich konstruierte Normen wie männlich und weiblich schon immer auflösen“, sagen sie. Dieser Philosophie trotz aller damit verbundenen Herausforderungen treu geblieben zu sein, ist mit der Zeit auch zum Fundament des Erfolgs von UY Studio geworden.
Auch was den Verkauf betrifft, hat das Duo Pioniergeist bewiesen: „Wir haben uns von Anfang an auf den Online-Umsatz fokussiert, trotzdem wollten wir mit einem physischen Ort Präsenz zeigen“, erzählt Idan beim Gang durchs Studio. In unserem Interview sprechen die beiden über Selbstverwirklichung, Businessratschläge und ihren letzten Vermieter, der dachte, sie würden in ihrer Wohnung kein Modelabel, sondern einen Sexshop betreiben.
UY ist mehr Community als einfach nur Fashion Label. Könnt ihr uns darüber mehr erzählen?
Fanny: Als wir nach Berlin gezogen sind, haben wir durchs Feiern viele kreative Leute kennengelernt. Alle waren unglaublich offen und hilfsbereit, wir haben von Anfang an Unterstützung bekommen. Fotografen, die für ein paar Klamotten von uns Kollektionen geshootet haben, andere Freunde haben Hair und Make-up übernommen.
Idan: Wir lieben es zu kollaborieren und gemeinsam etwas zu gestalten, der Austausch mit anverwandten Disziplinen wie Kunst, Musik, Tanz oder Fotografie ist uns wichtig. So sehen wir auch unser Studio, wir verkaufen hier nicht nur Mode, sondern veranstalten genauso Ausstellungen, private Geburtstagspartys und Pop-up Dinner.
Wie würdet ihr die UY-Ästhetik beschreiben?
I: Zeitlos, minimalistisch, sexy, easy, rough, raw.
Der Communitygedanke fällt auch in Bezug auf euer Modelcasting auf. Eure Brand repräsentieren ganz unterschiedliche Menschen, die ihr ja nicht einfach bucht, sondern zu denen ihr fast immer einen persönlichen Bezug habt.
I: Ganz genau. Uns geht es darum, was für Geschichten sich in eine Person hineinlesen lassen. Um eine Atmosphäre, eine Aura. Die meisten unserer Models sind selbst Kreative, für Fanny und mich würde es nicht funktionieren, einfach nur ein Gesicht zu buchen. Wir wollen wissen, wer die Leute sind, die uns repräsentieren und unsere Markenbotschafter:innen sind. Schönheit hängt für uns auch nicht von Alter, Körperformen oder Sexualität ab, sondern von Charisma. Außerdem haben wir den Anspruch neue Talente zu entdecken, ein Freund, der länger für uns gearbeitet hat, modelt jetzt exklusiv für Balenciaga.
Das Label habt ihr aus eurer ersten Wohnung heraus gegründet, die damals gleichzeitig auch als Showroom und Atelier fungieren musste. Wie war diese Anfangszeit für euch?
F: Die ersten zwei Jahre waren Idan und ich alleine, am Ende haben wir mit vier Praktikant:innen zusammen in unserer Kreuzberger Wohnung gearbeitet.
I: Wir haben dort Events, Flohmärkte und Dinner veranstaltet, the place was on fire.
F: Irgendwann dachte der Vermieter, wir würden einen Sexshop betreiben, weil die ganze Zeit Leute kamen und gingen und wir mussten nach einer neuen Wohnung suchen. Das war ein dramatischer Moment, wir wussten wirklich nicht wohin mit uns.
I: Als wir endlich unser jetziges Studio gefunden haben, wussten wir, dass wir angekommen sind. Wir haben sofort das Potenzial erkannt, obwohl der Laden schrecklich aussah. Alles war golden gestrichen und es gab keine Elektrizität.
hr seid ja schon an unzähligen Kooperationen beteiligt gewesen, habt ihr ein besonderes Highlight?
I: Die Performance anlässlich des fünften UY Geburtstags im Berghain vor zweieinhalb Jahren. Unsere ersten Klamotten in Berlin haben wir designt, um sie dort auf Partys zu tragen, jeden weiteren Karriereschritt haben wir im Berghain mit Champagner begossen. Das Event war wie eine spirituelle Zeremonie und hat mich wirklich berührt. It felt like bringing it home.
F: Unsere Karriere ist von diesem Ort definitiv beeinflusst worden, es war besonders, dahin mit einer so großen Show zurückzukehren. Full circle moment.
Vorhin habt ihr ja bereits eure Pop-up Dinner erwähnt. Die Essen gleichen oft einer ausschweifenden Inszenierung, wo in einer offenen Küche in eurem Studio gekocht wird. Als Gastgeber wird man ja zum Regisseur des Abends, was ist euch besonders wichtig?
I: Bei allem was wir tun geht es um Selbstausdruck, das ist unsere Essenz, deshalb haben auch unsere Dinner Performancecharakter. Mir gefällt die Idee, Menschen an einem Tisch zusammenzubringen, die sich sonst nie begegnet wären und ich liebe den Sound von klirrenden Weingläsern - an open kitchen is always fabulous. Wenn am Ende des Abends alle mit einem satten Lächeln im Gesicht nach Hause gehen, ist das für mich das Allerschönste.
Wenn beste Freunde zusammenarbeiten sind die Vorteile offensichtlich. Gibt es auch Nachteile, wenn die Trennlinien zwischen Job und Privatem verschwimmen?
I: Bei uns ist alles sehr emotional, dadurch gab es auch schon ein paar Explosionen. Wir hatten aber nur einmal eine wirkliche Krise und wussten nicht mehr, ob wir noch gemeinsam arbeiten wollen. Um Abstand zu bekommen, ist Fanny damals nach Dubai gereist und ich nach Tel Aviv. Genau in dem Monat hatten wir die bis dahin höchsten Verkaufsumsätze. Wir mussten also weitermachen.
F: Mit Freunden zu arbeiten ist das Beste, was dir passieren kann und ein kontinuierlicher Dialog - ich könnte es mir überhaupt nicht anders vorstellen. Es gab so viele Leute, die uns auf unserem Weg unterstützt haben, unser Label ist Teil der Berliner Community geworden.
I: Wir haben das Gefühl, dass UY nicht mehr nur uns gehört.
UY ist bekannt für veganes Leder, viel Mesh, viel Schwarz. Immer wieder tauchen aber auch sehr spezifische Farbtöne in euren Designs auf. Wie wählt ihr die aus?
F: Vor ein paar Jahren hat eine Freundin von uns ihr Geschäft geschlossen und uns 400 Meter Jersey in nude überlassen. Mit diesem Restbestand haben wir angefangen Prototypen zu designen und Editorials geshootet. Alle sahen darin aus wie nackt, das hat uns sofort gefallen. Für Weihnachten arbeiten wir seitdem immer mit einer besonderen Farbe, wie Rot, einem Grauton oder kräftigen Lachsrosa. Generell mögen wir eine gedämpfte Farbpalette, also Erdtöne, die organisch wirken.
Ihr werdet also nicht als Nächstes eine Neon-Kollektion herausbringen?
F: Exactly!
Woher bezieht ihr eure Stoffe?
I: Es gibt in Israel einen sehr besonderen Stoff, der eigentlich nur für Hochzeiten verwendet wird, den bringe ich immer im Koffer mit. Früher hatten wir wenig Geld und Platz, schon allein deshalb haben wir damals nur in Schwarz designt, über die Jahre ist unser Stoffarchiv allerdings gewachsen.
Eure Branche wird bereits seit Jahren für ihr Überangebot und die viele Wegwerfmode mit viel zu kurzer Lebensdauer kritisiert. Wie geht ihr damit um?
F: Früher waren wir mehr auf Trends fokussiert. Im Club tragen gerade alle irgendwas mit Netz? Dann lass uns das auch machen! Jetzt interessiert uns so etwas überhaupt nicht mehr. Uns geht es um langlebige Produkte mit guten Schnitten und perfekter Passform.
Ihr habt in einem anderen Interview gesagt: „We are living and breathing UY“. Das finde ich wirklich schön. Wie schwer ist es, mit dieser Einstellung, sich auch mal eine Pause vom Business zu nehmen?
I: Ich arbeite eigentlich immer. Egal wohin ich gehe, auch wenn ich auf Reisen etwas Interessantes sehe, höre, rieche oder schmecke denke ich sofort an UY. Alles kann Inspirationsquelle sein, deshalb ist es auch schwer, richtig abzuschalten. Im Lockdown bin ich seit längerem das erste Mal richtig zur Ruhe gekommen, alles war wie eingefroren. Trotzdem ist es das schönste Gefühl, eins zu werden, mit dem, was man beruflich macht.
Wie würdet ihr für euch Erfolg definieren?
I: Neulich hat mir jemand einen Brief geschrieben und gesagt, wie viele Leute wir mit UY inspirieren und beeinflussen. Das hat mich stolz gemacht, denn genau dafür leben wir jeden Tag. Und natürlich um Berlin modisch zu prägen und zu repräsentieren. We always want to be an open house for everyone.
F: Mir gefällt es, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein eigenes Label aufzubauen, bedeutet viele schlaflose Nächte und Situationen, die einen brechen können, aber - im Nachhinein betrachtet - zu Erfolgsmomenten werden, wenn man sich nicht unterkriegen lässt.
I: Es macht mich happy zu sehen, wie weit wir schon gekommen sind. Als wir damals in Berlin angekommen sind, haben wir mit nichts begonnen!
F: But it was also fun to be poor. Wir hatten damals kaum Verantwortung, dafür viele Freiheiten. Wir haben einfach in den Tag hineingelebt.
I: Immer nur von einem Wochenende zum nächsten, haha.
Jetzt müsst ihr uns noch verraten: What’s next for UY?
F: Früher ging es für uns vor allem um Partys und darum, dafür die richtigen Looks zu designen. Nicht nur durch die Pandemie merken wir, dass sich diese Werte verschoben haben. Wir sind etwas älter geworden, genau wie unsere Freunde und müssen nicht mehr die ganze Zeit unterwegs sein. Du kannst auch nicht einfach über Jahre das gleiche machen, sonst langweilst du irgendwann alle – und vor allem dich selbst. Wir haben deshalb gerade unseren visuellen Auftritt verändert und eine neue Website gelauncht.
I: Wir haben aber immer noch viele Träume und Ideen. Es ist schön, dass UY eine nie endende Reise ist.