Inszenierung ist sein Beruf und seine Leidenschaft. “Die Realität nur nachzubilden, fand ich immer schon langweilig, man muss über sie hinausgehen. Deshalb liebe ich es, surreale Atmosphären zu erschaffen”, erzählt Matthew Bianchi. Seine Arbeit ist maßgeblich für die Stimmung und den visuellen Stil eines Films oder einer Werbekampagne verantwortlich, wir haben mit ihm über sowjetische Wohnzimmer als Inspirationsquelle und die Freude an der Irritation gesprochen.
Wie würdest du deine Ästhetik als Set-Designer beschreiben?
Beim Film muss ich meine Ideen meist denen des Regisseurs anpassen, trotzdem will ich, dass mein Fingerabdruck zu sehen ist. Für meine eigenen Designs lasse ich mich am liebsten von der Vintage-Optik der 1970s und 80s und dem Bauhausstil inspirieren.
Bauhaus ist bekannt für klare Linien, schlichte Zweckmäßigkeit und nüchterne Eleganz, alles ist aufs Elementare reduziert. 70s Vintage-Optik ist da doch eher das Gegenteil oder?
Genau, ich finde Brüche und Reibung in meiner Arbeit spannend, wie die minimalistische, disziplinierte und cleane Ästhetik, für die das Bauhaus steht, mit opulenten Elementen zu kombinieren. Funktionalismus interessiert mich genauso wie die üppige Ästhetik der 70er Jahre. Mir gefällt es, wenn meine Designs das Auge herausfordern und nicht zu gefällig wirken und wenn durch die Kombination verschiedener Stile eine gewisse Spannung entsteht. Ich mag es ein bisschen fucked up und liebe Irritation.
Was magst du an deinem Beruf besonders gern?
Es kann sehr spielerischer sein, mit Texturen zu experimentieren, daran habe ich viel Spaß. Wenn etwas zu glatt und poliert aussieht, wird es für mich schnell langweilig. Wenn ich ein Fashion Editorial mit teuren Designerklamotten style, mag ich es beispielsweise, die Haare der Models fettig oder nass aussehen zu lassen. So entsteht ein Look, der Sexappeal hat und ein bisschen rough und dirty ist. Das Schöne muss immer auch etwas bizarr sein.
Kannst du uns etwas über deinen Background erzählen?
Ich bin in Toronto aufgewachsen und dort auch auf die Filmschule gegangen. Danach habe ich fünf Jahre als Set- und Production Designer gearbeitet, habe die Ausstattung für Independent-Filme gemacht und dazwischen immer wieder Commercials wegen der guten Bezahlung. Life was sweet! Dann bin ich nach Berlin gezogen und natürlich kannte mich hier niemand. Ich habe wieder ganz von vorne begonnen. Seit Anfang des Jahres habe ich das Gefühl, wieder auf dem gleichen Level wie in Kanada zu arbeiten. Ich musste werden, wer ich Toronto schon war.
Wenn alles so gut lief in Toronto, warum hast du dich entschieden nach Berlin umzuziehen?
In Kanada bin ich aufgewachsen, zur Schule und zur Kunstuniversität gegangen. Dann habe ich dort fünf Jahre lang gearbeitet. Ich war ready für einen neuen Ort! Am Anfang hatte ich überlegt, nur ein Jahr in Deutschland zu bleiben und bin mein Leben hier sehr entspannt angegangen. Die Idee, für ein Jahr nach Berlin zu ziehen, ist natürlich ein Mythos. Eigentlich bleiben alle länger oder verlassen die Stadt gleich nach ein paar Wochen fluchtartig wieder, weil sie nicht zu ihnen passt. Ein Jahr braucht man, um überhaupt anzukommen.
Du bist also ohne konkreten Plan in die Stadt gekommen?
Mir ging es vor allem darum, neue Erfahrungen zu sammeln. Am Anfang bin ich natürlich auf viele Partys gegangen und habe mich ein bisschen im Nachtleben verloren, aber ich war 28 als ich umgezogen bin. Ich war nicht mehr auf der Suche nach mir selbst.
Wie war dein erstes Jahr in Deutschland?
Fun and Flirty. Sehr entspannt, ich wollte beruflich zuerst alles außer Film ausprobieren und habe mich einfach treiben lassen. Das erste Jahr hat sich gar nicht wie echtes Leben angefühlt, alles war so aufregend und neu. Es war eher wie ein Rausch. Als ich entschieden habe, wirklich in Deutschland zu leben, ist alles viel realer geworden und hat sich entschleunigt. Corona hat dann endgültig das Tempo und die Energie herausgenommen. Für mich persönlich hatte das aber auch eine positive Seite, denn ich habe mich in meine Arbeit gestürzt und Set-Designs für Projekte wie das Musikvideo von LSDXOXO entwickelt.
Wovon lässt du dich am meisten inspirieren?
Die meiste Inspiration nehme ich von Filmen, Instagram kann ebenfalls ein gutes Werkzeug sein. Ich speichere mir die merkwürdigsten Sachen ab, wie sowjetische Wohnzimmer, Steinstrände oder verwelkte Blumenbouquets. Bilder von einem Wochenende mit Freunden können für mich genauso inspirierend sein wie ein Foto, auf dem sich das Licht an der Wand besonders schön bricht. Wenn ich diese Bilder für meine Moodboards ansehe, nehme ich sie in einem ganz anderen Kontext wahr und benutze oft nur einzelne, verfremdete Details.
Wenn du der kreative Kopf hinter einem Projekt bist, wie sieht dann dein Arbeitsprozess aus?Zuerst gehe ich auf Farb- und Materialrecherche und suche dabei an den schrägsten Orten nach Ressourcen. Für jedes neue Projekt lege ich ein Moodboard an, wobei es mir manchmal schwerfällt, meine Fantasien und lose Gedanken tatsächlich auf einem Board festzupinnen. Mir schwirren so viele Gedanken im Kopf herum, manchmal ist es fast ein qualvoller Prozess, all diese Visionen in reale Referenzen umzusetzen.
Hat dich Berlin als Künstler geprägt?
Die Stadt hat mir erlaubt, mehr künstlerische Risiken einzugehen und meinen Visionen zu vertrauen. Je länger man seinen Beruf macht, desto selbstsicherer wird man, aber es ist wohl kein Zufall, dass ich mich gerade in den letzten drei Jahren persönlich und beruflich besonders weiterentwickelt habe. Am Anfang braucht man aber Durchhaltevermögen! Viele der kreativen Projekte, die am meisten Spaß machen, sind leider auch am schlechtesten bezahlt. Trotzdem sind sie für mich wichtig, weil ich mich als Künstler ausleben kann. Ich kann jedem nur raten, begib dich auf die Suche, was deine Leidenschaften und Talente sind. Play with your style and flex your creative muscle!
Gibt es Materialien, die dich besonders ansprechen?
Im Moment arbeite ich viel mit Silikon. Ein Kronleuchter, den ich vollkommen mit Silikon überzogen habe, ist auch in unserem Opernprojekt vorgekommen. Silikon passt gut zu meiner Ästhetik, es ist shiny, glitschig, tropfend und etwas nasty. Wenn man den Kronleuchter ansieht, könnte man ihn unterschiedlich interpretieren: Soll es aussehen, wie Kerzenwachs oder vielleicht doch eher wie Sperma? Das passt doch ganz gut zu einer Party in Berlin…
Du hast gerade schon das Opernprojekt angesprochen, das du gemeinsam mit einem Künstlerkollektiv für die Volksbühne vor ein paar Monaten entwickelt hast. Der Abend fand im Aptm Berlin statt, einer Loftetage im Wedding. Wie hast du diesen riesigen Raum gestaltet, damit er euren Vorstellungen entsprochen hat?
Wir wollten die Idee einer Hausparty kommunizieren, deshalb habe ich ein Bett und einen großen Tisch für unser Essen in einem Fundus ausgeliehen. Wir haben uns während der Party drei Mal umgezogen, deshalb war es mir wichtig, dass sich der Raum mit uns verändern kann und nicht statisch ist.
Der Abend hat mit einem Dinner begonnen, ist dann in eine Party übergegangen und am nächsten Morgen war quasi eine Art Afterhour. Du hast dich auch um das Licht gekümmert und damit den Vibe bestimmt.Es gab eine lose Choreographie für den Abend, aber es gab keinen strikten Time Table. Es war eine Party Performance, sehr interaktiv, ohne genaue Dramaturgie, aber ich habe mir vorher Lichtkonzepte überlegt, die zu der jeweiligen Stimmung des Abends gepasst haben. Das Thema war End of the Century Decadence, eine Party, die außer Kontrolle geraten ist, die eskaliert und möglicherweise in einem Crash endet. Alle waren wie in einem kollektiven Rausch. Es sollte elegant, aber gleichzeitig auch messy sein.
Beleuchtung ist oft ein unterschätztes Mittel, um die Stimmung eines Ortes zu verändern. Nichts stört ja mehr als ein viel zu heller Raum - wenn man etwa im Restaurant ist und ein romantisches Abendessen genießen will, aber das Gefühl hat, beim Zahnarzt zu sitzen.Lampen werden dazu hergestellt, Helligkeit zu spenden. Doch in den interessantesten Situationen des Lebens ist klares Licht manchmal das, was man am wenigsten braucht. Allzu viel Realität ist oft gar nicht so hilfreich, eine leichte Vernebelung schon. Warme, schmeichelnde Lichteffekte können schlichte Räume in etwas Besonderes verwandeln. Man kann ein Vermögen für die Einrichtung eines Zimmers ausgeben, doch wenn es falsch beleuchtet ist, wird es keine gemütliche Atmosphäre bekommen. Licht ist für jedes Event von zentraler Bedeutung, denn es formt jeden Raum.
Hast du einen finalen Tipp für uns, worauf man achten sollte, wenn man einen Ort gestaltet?
Manche Leute designen einen Raum nur, damit es gut aussieht, aber alles ist statisch und unpraktisch. Bei gutem Wohndesign geht es nicht nur um schöne Produkte, zentral ist, dass darin wirklich gelebt werden kann. Stil entsteht für mich auch durch kleine Ungereimtheiten. Einrichtung sollte von dem Leben der Bewohner:innen erzählen: persönlich, eigen, nicht zu glatt.